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Beyond Budgeting – das ist Agilität im Liniengeschäft

Bei der Jahreskonferenz des Agile Business Consortium am 4. und 5. Oktober 2017 in London traf ich auf einen Management-Ansatz, der mich schon seit vielen Jahren interessiert und fasziniert: „Beyond Budgeting“. Wer es nicht kennt – erstaunlicherweise ist das immer noch ein Insidertipp – findet auf der WebSite des internationalen Netzwerks BBRT umfassende Informationen.

Was mir allerdings auf dieser Konferenz erst bewusst wurde, ist die enge Verwandtschaft der Prinzipien von Beyond Budgeting und agilem Projektmanagement. Auf die Sprünge geholfen hat mir dabei Steve Morlidge, dessen soeben erschienenes Buch eine aktuelle und kompakte Zusammenfassung gibt.

Zunächst seine Beschreibung des typischen Budgetierungsprozesses in Unternehmen:

Schritt 1: Erstelle einen Plan
Basierend auf Annahmen über die Entwicklung der Umwelt (insbesondere Kunden, Lieferanten, Wettbewerber, Märkte) und auf internen Annahmen (insbesondere Produkte, Prozesse, Technologien, Personal, Kosten) wird die Entwicklung des nächsten Geschäftsjahres beschrieben. Dieser Prozess ist unstrittig und notwendig, das Problem liegt allerdings in der Unsicherheit der Annahmen und auch, dass die Wahl eines Jahres als Planungseinheit willkürlich ist. Die Wahl der Annahmen ist nicht trivial und von vielen Unsicherheiten und Widersprüchen gekennzeichnet. Entsprechend langwierig und zeitraubend ist dieser Prozess, wenn er den Anspruch erhebt, einmalig das gesamte kommende Geschäftsjahr vorweg zu nehmen. Morlidge beschreibt als Extremfall eine Bank, die 13 Monate brauchte, um die Jahresplanung zu erstellen.

Schritt 2: Fixiere das Budget
Der finale Plan wird nach langen Verhandlungen auf die einzelnen Organisationseinheiten und Perioden (Monate/Quartale) heruntergebrochen und schließlich auch in persönliche Zielvereinbarungen übersetzt. Das Budget beinhaltet Zielwerte für zahlreiche Ergebnisvariablen wie Umsatz und Deckungsbeitrag und für Input-Variablen wie Investitionen und Kosten. Diese Werte werden „eingefroren“ und sind Vorgabe für die gesamte Geschäftstätigkeit dieses Jahres.

3: Messe und manage die Ergebnisse
Die Ist-Werte werden regelmäßig auf einer möglichst detaillierten Ebene mit den Plan-Werten verglichen. Von den Managern wird erwartet, dass sie Abweichungen verhindern oder zumindest rasch korrigieren.  Wenn Manager das nicht schaffen, wird das als Mangel an Einsatz oder Qualifikation gedeutet und entsprechend sanktioniert. Wir kennen aber auch alle die Tricks, mit denen knapp vor Monats- oder Quartals- oder gar Jahresende die Ist-Zahlen den Soll-Werten angeglichen werden. 

Steve Morlidge nennt vier Probleme des traditionellen Budgetierungsprozesses:

  1. Bürokratie: Der Prozess der Erstellung eines detaillierten Budgets ist sehr zeitaufwendig und teuer.
  2. Inflexibilität: Da die Budgetwerte fix sind, ist es schwierig und extrem langwierig, auf geänderte Umstände während des Geschäftsjahres zu reagieren.
  3. Suboptimierung: Gute Ziele sollten ein gewisses Maß an Risiko beinhalten, also ambitioniert sein. Budgetzahlen sind aber fixe Vorgaben, so dass Risiko so weit wie möglich vermieden wird. Man bleibt also hinter den Möglichkeiten zurück; Analysten mögen übrigens auch nicht, wenn Budgetziele übertroffen werden, das wird als Zeichen mangelnder Planungskompetenz gedeutet.
  4. Politisch: Besonders störend ist die Tendenz, die variablen Einkommensbestandteile möglichst vieler Mitarbeiter des Unternehmens an die Erreichung der Budgetziele zu knüpfen; daraus resultiert zwangsläufig, dass alle versuchen, die Ergebniserwartungen möglichst niedrig zu halten, um sich dann nicht für mangelnde Zielerreichung rechtfertigen zu müssen. Man versucht also, seine Messlatte möglichst niedrig zu halten, anstatt möglichst hoch zu springen.

Solange die Umwelt der großen Unternehmen relativ stabil war, konnte der Budgetierungsprozess und der Umgang mit den Budgets in der Geschäftsabwicklung immer weiter perfektioniert werden. In einer Phase hoher Volatilität der Absatzmärkte (z.B. Eintritt völlig neuer Wettbewerber in die angestammten Märkte), der Technologien und auch der Arbeitsmärkte (z.B. demografische Entwicklung) wird der traditionelle Budgetierungsprozess allerdings zur Gefahr für den Unternehmenserfolg.

Was ist die Alternative, was bedeutet „Beyond Budgeting“ in der Praxis?

Schritt 1: Messe das Ergebnis in einer sinnvollen Weise
Man muss herausfinden, welche finanziellen und nicht-finanziellen Parameter entscheidend für den nachhaltigen Erfolg des Unternehmens sind; das sind sowohl unternehmensinterne als auch externe Faktoren. Diese werden regelmäßig gemessen, die Periodizität hängt von den Gegebenheiten ab, unter denen das Unternehmen agiert und muss auch nicht für alle gleich sein. Es gibt Branchen, in denen einzelne Parameter täglich analysiert werden müssen, aber vielfach können die Perioden deutlich länger sein. Das kann sich mit der Zeit ändern, je nachdem, wie sich die Umstände verändern. Zielwerte werden nicht aus den Werten der Vorjahre abgeleitet, sondern idealerweise aus Benchmarks oder zumindest internen Vergleichen zwischen verschiedenen Organisationseinheiten. Wichtig ist, dass die Messung der Ist-Werte am Anfang und im Zentrum der Managementaktivitäten steht, nicht die Erstellung von Plänen. In Wien gibt es dafür den saloppen Spruch, hier übersetzt in deutsche Schriftsprache: „Was es wiegt, das hat es“.

Schritt 2: Prognostiziere wo notwendig
Beyond Budgeting spricht lieber von „Forecasts“ als von Plänen. Damit soll deutlich gemacht werden, dass alle Aussagen über die Zukunft unsicher sind, mehr oder minder fundierte Annahmen. Anstatt zu versuchen, die Zukunft immer genauer vorherzusagen, was in immer mehr Unternehmen und Branchen nicht gelingen kann, soll man daran arbeiten, die Reaktionszeiten zu verkürzen und flexibler zu werden.

Schritt 3: Plane und steuere den Ressourceneinsatz kontinuierlich
Beyond Budgeting ordnet die Ressourcen nur lose den geplanten Aktivitäten zu. Auf unerwartete Herausforderungen wird mit einer Änderung des Ressourceneinsatzes reagiert, das gilt insbesondere auch für finanzielle Mittel. In welcher Frequenz solche Änderungen stattfinden, ist nicht allgemeingültig fixiert, es hängt von den konkreten Umständen ab.  

Schritt 4: Beteilige alle an gemeinsamen Erfolgen
Individuelle Leistungsvorgaben und damit verbundene Incentives werden als kontraproduktiv gesehen, umso mehr, wenn sie von Budgetwerten abhängen, die mit den anfangs geschilderten Unzulänglichkeiten behaftet sind. Überdies hängt der Erfolg eines Unternehmens nie von der Leistung einzelner ab, sondern ist ein Resultat des Zusammenwirkens aller. Daher sind variable Einkommensbestandteile im Modell von Beyond Budgeting das Ergebnis einer Verteilung des finanziellen Erfolgs des Unternehmens auf die Mitarbeiter nach einem definierten Schlüssel. Der Erfolg wird nicht als Differenz zum Plan definiert, sondern wird absolut gemessen, wie ja auch die Eigentümer am tatsächlichen Gewinn beteiligt werden und nicht am Delta zu einem im Voraus willkürlich festgelegten Wert. 

Soweit eine kurze Darstellung des Management-Modells von Beyond Budgeting, angelehnt an das Buch von Steve Morlidge. Dort gibt es noch mehr zu diesem Thema, vor allem zu den Konsequenzen dieses Management-Paradigmas für die Führung und Organisation von Unternehmen. Das ist ein Fokusthema des deutschen Pioniers von Beyond Budgeting, Niels Pfläging.

Hier möchte ich aber den Bezug zur Entwicklung des Projektmanagements herstellen. Die Planung von Projekten nach dem Wasserfallmodell ähnelt doch frappierend dem Budgetierungsprozess und erfolgreiches Projektmanagement ist dort auch dadurch gekennzeichnet, dass die Pläne eingehalten werden.

Interessant, dass die Standish Group, Herausgeber des jährlichen Chaos-Reports über die Erfolgsquote von IT-Projekten, ihre Kriterien für den Projekterfolg vor einigen Jahren geändert hat. Kriterium des Erfolgs ist der am Ende erzielte Nutzen für den Kunden, auch wenn die Projektergebnisse sich deutlich vom ursprünglichen Plan unterscheiden. Es kann ja sein, dass sich die Rahmenbedingungen des Projektes geändert haben, der Scope aus guten Gründen erweitert oder reduziert wurde oder aufgrund von Problemen mit Lieferanten, Technologien oder Ressourcen Änderungen des Planes notwendig und für das Ergebnis sogar positiv waren.

Agiles Projektmanagement stellt auch die Messung der Ergebnisse in den Vordergrund aller Überlegungen. Zentrale Steuerungsinstanz ist das Burn-Down-Chart, in möglichst kurzen Abständen wird der tatsächliche Fortschritt, gemessen an der Akzeptanz realer Software durch die realen Anwender ermittelt und dann reagiert. Der Forecast wird regelmäßig angepasst und die wirksamste Methode, um Abweichungen von den gewünschten Ergebnissen zu korrigieren ist die Steuerung des Personaleinsatzes. Pläne sind Annahmen als Grundlage der Projektsteuerung, sie sind aber nicht in Stein gemeißelt, sondern Orientierungsrahmen, die solange gelten, wie sie funktionieren.

Ich denke, dass mit der unaufhaltsamen Verbreitung von agilen Projektmanagement-Methoden auch der zu Unrecht vernachlässigte Ansatz von „Beyond Budgeting“ sich stärker durchsetzen wird. Das Ergebnis wird in den Unternehmen, die beides implementieren, ein Leistungsschub sein und nicht zuletzt wird sich auch die Lebensqualität für Manager und Mitarbeiter deutlich verbessern.

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